Künstlerische Freiheit in der (Klima-)Krise
Diskursveranstaltung, Bühne 2, Tanzhaus Zürich, 15. November 2022, 19.00 Uhr
– «Okay, wir müssen irgendetwas mit Klima machen, das wäre jetzt schon noch gut…»
– «Ja, voll, lass uns doch einfach das Ding hier aus Holz machen und lass’ uns auf jeden Fall fragen, ob die auch den Ökostrom nehmen, beim Licht, ja, und so ästhetisch einfach was in Richtung natürlich?!»
– «Aber das ist ja wohl nicht genug, oder?»
Wie kommen Klimagerechtigkeit und die darstellenden Künste zusammen? Diese Frage hat das KlimaKontor Schweiz durch den Herbst 2022 bewegt. Gemeinsam mit Kompliz:innen sind Formate und Situationen für das Verweben von Aktivismus und Kunst entstanden. Begonnen hat die Saison mit der Diskursveranstaltung Open Talk im Tanzhaus Zürich. Kein Panel mit Expert:innen, sondern eine Fish Bowl mit Aktivist:innen und Kunstschaffenden, also ein offener Gesprächskreis, in den sich alle Anwesenden einmischen konnten. Begonnen haben die Diskussion die gastgebende Tanzhaus-Leiterin Catja Löpfe und die geladenen Gäst:innen Alexandra Gavilano, Lina Hasenfratz und Isabelle Vuong, gemeinsam mit den Moderator:innen Johann Otten, Lena Schubert und Charlotte Mathiesen.
Zur Verhandlung stand das klassische Paradigma künstlerischer Freiheit und wie es im Kontext der Klimakrise hinterfragt und transformiert werden kann. Grundlegend war dabei die Überlegung, dass die ökologische Katastrophe vor allem eine Gerechtigkeitsfrage ist, weil kollektive und individuelle Verantwortlichkeiten und Betroffenheiten dabei immer durch Privilegien bedingt sind. Damit geht die Forderung einher, die Klimakrise nicht nur als technische, sondern auch als ethische und weltanschauliche Herausforderung zu verstehen, die eine grundsätzliche Überwindung vieler etablierter Annahmen nötig macht – so auch, was gemeint ist, wenn von Freiheit die Rede ist. Das betrifft insbesondere die Künste, in denen sogenannte Genies und Kunststars seit Jahrhunderten unter dem Claim der Freiheit soziale und materielle Unverbindlichkeit und Kompromisslosigkeit beanspruchen.
Die Klimakrise macht unübersehbar, auf wessen Rücken diese Ansprüche ausgetragen werden – und dass grundlegende Verwobenheit und Abhängigkeit auch als unbedingter Bezugsrahmen aller künstlerischer Handlungsspielräume angenommen werden muss. Fast alles muss sich ändern. Was das genau für den Alltag der institutionellen und freien Kunstpraxis bedeutet, wurde im Tanzhaus Zürich vielstimmig diskutiert und lässt sich in allen Facetten in der Aufnahme nachhören. „Art has to come out of the bubble“, diese Forderung inspirierte das gesamte Gespräch – und wurde von Gäst:innen und Teilnehmenden auch persönlich verkörpert. Viele der Anwesenden identifizierten sich nicht entweder als Aktivist:innen oder Tänzer:innen, Künstler:innen und Schriftsteller:innen, sondern sind sowohl radikal politisch als auch kreativ tätig.
So war diese Fish Bowl kein Aquarium – also kein abgeschlossener, schön anzusehender Kunstraum –, sondern eine prozesshafte, kollektive Praxis und Übung klimapolitischer Beziehungen und neuer Selbstverständnisse. Dazu gehörte in der zweiten Hälfte auch eine von Tänzer:innen angeleitete Intermission, in der die Anwesenden sich erhoben und körperlich auf Transformation einstimmten. Wie fühlt es sich an, Teil radikalen Wandels zu sein? Welche Gefühle, Haltungen und Bewegungen sind damit verbunden? So hat der Open Talk das Erbe der Freiheit nicht objektiv und theoretisch befragt, sondern diese Auseinandersetzung damit situiert, erprobt und reflektiert. Dieser Prozess endete nach gut zwei Stunden nicht; an der Tanzhaus-Bar wurde noch bis Mitternacht fortkonspiriert. Um dieser kollektiven Suche einen weiteren, intimeren Raum zu schaffen, lud das KlimaKontor wenige Wochen später eine kleinere Gruppe von Aktivist:innen und Kunstschaffenden zum Weekend Intensive ein – und wird auch zukünftig Kompliz:innenschaften zwischen Klimagerechtigkeit und Kunst fördern.
Das Gespräch ist in voller Länge im treibhaus – Podcast veröffentlicht, mit einer Anmoderation von Céline Elber und Christoph Keller: